TikTok – Chance oder Risiko? Wie Algorithmen unser Verhalten steuern

TikTok hat sich in wenigen Jahren zu einer der einflussreichsten Social-Media-Plattformen entwickelt. Mit über einer Milliarde Nutzern weltweit bestimmt der TikTok-Algorithmus, welche Inhalte wir sehen, welche Trends sich durchsetzen und wie sich unser Konsumverhalten verändert. Während die Plattform in China stark auf Bildung und Wissen ausgerichtet ist, dominiert in Europa und den USA eher Unterhaltung und viraler Content – ein Aspekt, der kaum diskutiert, aber hochrelevant ist.

Längst ist TikTok nicht mehr nur eine Plattform für Teenager. Die Nutzerbasis wächst stetig und umfasst zunehmend auch Erwachsene. Unternehmen, Berufstätige und sogar Politiker haben die Plattform für sich entdeckt und nutzen sie als Kommunikationskanal. Besonders durch die steigende Beliebtheit von Video-Content gewinnt TikTok auch in älteren Altersgruppen an Bedeutung – ein Trend, der das gesellschaftliche und wirtschaftliche Potenzial der Plattform weiter verstärkt.

Doch wie genau beeinflusst der TikTok-Algorithmus unser Verhalten? Welche Risiken birgt er für Gesellschaft, Unternehmen und den Einzelnen? Und warum wird TikTok in China völlig anders genutzt als im Westen?

Die Macht der TikTok-Algorithmen – Wie sie uns steuern

Ein Algorithmus, der für maximale Suchtwirkung optimiert ist

Die Folge? Nutzer verbringen oft Stunden auf TikTok, ohne es bewusst zu merken. Studien zeigen, dass gerade junge Menschen (aber eben nicht nur) Schwierigkeiten haben, ihre Bildschirmzeit zu kontrollieren. Die Plattform sorgt durch schnelle, kurzweilige Inhalte dafür, dass Nutzer in eine Endlosschleife gezogen werden.

Das liegt nicht nur an der ausgeklügelten Technik des Algorithmus, sondern auch an einem menschlichen Grundverhalten: Wir sind von Natur aus anfällig für Suchtmechanismen.

Unser Gehirn reagiert besonders stark auf kurze Belohnungszyklen – und genau diese bietet TikTok in Perfektion. Jedes neue Video ist eine Überraschung, eine potenzielle Belohnung, die unser Dopamin-System aktiviert und uns dazu bringt, immer weiter zu scrollen. Besonders die Kombination aus schnell wechselnden Reizen und sofortigem Feedback durch Likes und Kommentare verstärkt diesen Effekt und macht es schwer, die Nutzung bewusst zu kontrollieren.

Warum der Algorithmus in China anders funktioniert

In China betreibt die Firma ByteDance TikTok unter dem Namen Douyin – und dort wird die Plattform völlig anders gesteuert. Während in Europa und den USA Inhalte stark auf Unterhaltung, virale Trends und teils auch fragwürdige Challenges ausgerichtet sind, fördert der Algorithmus in China gezielt bildungsnahe Inhalte, Wissenschaft und Patriotismus.

Unterschiede zwischen Douyin (China) und TikTok (Rest der Welt):

ThemaDouyin (China)TikTok (Europa & USA)
BildungFördert Bildungsinhalte, Wissenschaft & TechnologieUnterhaltung & virale Trends dominieren
JugendschutzZeitliche Begrenzung für MinderjährigeKeine Beschränkungen, Suchtverhalten wird gefördert
InhaltskontrolleStrenge Regulierung durch RegierungInhalte sind kaum reguliert, viele problematische Trends
ZielsetzungFörderung von Wissen & DisziplinMaximierung von Engagement & Werbeeinnahmen

Während chinesische Jugendliche durch Douyin in Bereichen wie Mathematik, Technologie oder Wissenschaft gefördert werden, konsumieren westliche Nutzer vor allem virale Tanzvideos, Pranks und Herausforderungen mit oft fragwürdigem Inhalt.

Das wirft die Frage auf: Wird der Westen bewusst in eine Richtung gelenkt, die eher der Unterhaltung als der Bildung dient?

Risiken von TikTok – Manipulation, Suchtverhalten und gesellschaftliche Auswirkungen

Manipulation durch selektive Inhalte

Da der Algorithmus entscheidet, welche Videos die Nutzer sehen, kann TikTok Meinungen beeinflussen und bestimmte Narrative verstärken. Dies betrifft nicht nur politische Inhalte, sondern auch Themen wie Konsumverhalten, Selbstbild und gesellschaftliche Trends.

Beispiel:

Wer sich einmal Videos zu Verschwörungstheorien oder extremen Weltansichten anschaut, bekommt zunehmend ähnliche Inhalte angezeigt – unabhängig davon, ob sie korrekt sind oder nicht.

TikTok kann gezielt Trends fördern oder unterdrücken, indem bestimmte Videos gepusht und andere systematisch unsichtbar gemacht werden.

Gefährliche Trends und Challenges

Ein weiteres Risiko sind gefährliche Challenges, die sich rasant verbreiten, weil der Algorithmus sie begünstigt. Besonders junge Nutzer sind empfänglich für Gruppendruck und die Aussicht auf virale Aufmerksamkeit.

Beispiele für aktuelle gefährliche TikTok-Trends:

  • Paracetamol-Challenge: Jugendliche nehmen übermässige Mengen des Schmerzmittels Paracetamol ein und dokumentieren dies. Ziel ist es, eine möglichst hohe Dosis zu überleben, was lebensgefährlich sein kann. Eine absichtliche Überdosierung kann zu irreparablen Leberschäden oder zum Tod führen.
  • Blackout-Challenge: Teilnehmer strangulieren sich selbst oder andere bis zur Bewusstlosigkeit, um einen kurzen Rauschzustand zu erleben. Diese Challenge hat bereits zu mehreren Todesfällen geführt und ist besonders gefährlich, da sie zu Hirnschäden oder Tod durch Sauerstoffmangel führen kann.
  • „Superman“-Challenge: Ein viraler Tanztrend, bei dem eine Person sich auf die Arme von zwei anderen Personen legt, um die Flugpose von Superman nachzuahmen. Einige Nutzer erhöhen das Risiko, indem sie den Teilnehmer in die Luft werfen oder die Arme plötzlich wegziehen, was zu gefährlichen Stürzen und Verletzungen führen kann.

Da TikTok in Europa kaum reguliert ist, tauchen solche Trends immer wieder auf – oft mit gefährlichen Konsequenzen

Psychologische Auswirkungen und Suchtgefahr

TikTok gehört zu den Plattformen mit dem höchsten Suchtpotenzial. Der Algorithmus ist so gestaltet, dass er Nutzer immer tiefer in eine Endlosschleife zieht. Die ständige Abfolge neuer, kurzweiliger Inhalte sorgt für eine permanente Ausschüttung von Dopamin – ähnlich wie bei Glücksspiel. Jede Wischbewegung bringt ein neues Video, eine potenzielle Überraschung, die das Belohnungssystem des Gehirns aktiviert und das Verlangen nach weiteren Inhalten verstärkt.

Diese Mechanismen haben weitreichende Folgen. Studien zeigen, dass die ständige Reizüberflutung die Konzentrationsfähigkeit stark beeinträchtigt. Die Fähigkeit, sich über längere Zeit auf eine Aufgabe zu fokussieren, nimmt ab, da das Gehirn an schnelle Informationswechsel gewöhnt wird. Gleichzeitig wird es schwieriger, tiefgehende Inhalte zu konsumieren oder kritisch zu hinterfragen, weil TikTok Nutzer auf eine Art von Informationsverarbeitung konditioniert, die auf Schnelligkeit und oberflächliche Reaktion ausgelegt ist.

Ein weiteres Problem ist die nächtliche Nutzung. Viele Jugendliche verbringen Stunden mit TikTok, oft ohne das Zeitgefühl zu behalten. Die endlose Verfügbarkeit neuer Inhalte führt dazu, dass der Schlaf immer weiter hinausgezögert wird, was langfristig die Schlafqualität und die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Die Auswirkungen zeigen sich nicht nur in der Schule oder im Berufsleben, sondern auch in der psychischen Gesundheit, da Schlafmangel nachweislich mit einem höheren Risiko für Angststörungen und depressive Verstimmungen verbunden ist.

Während China dieses Problem früh erkannt hat und strenge Nutzungsbeschränkungen eingeführt hat – dort dürfen Minderjährige die chinesische Version Douyin maximal 40 Minuten pro Tag nutzen –, gibt es in Europa und den USA keinerlei vergleichbare Regelung. Die Plattform bleibt rund um die Uhr zugänglich, ohne dass Kontrollmechanismen greifen. Dadurch sind Jugendliche und Erwachsene gleichermassen einem System ausgesetzt, das bewusst auf maximale Verweildauer ausgelegt ist und die Selbstkontrolle durch gezielte Mechanismen untergräbt.

Ist TikTok eine Gefahr für Unternehmen?

Nicht nur Privatpersonen sind von TikTok betroffen – auch Unternehmen stehen vor Herausforderungen.

Markenreputation in Gefahr

Der Algorithmus entscheidet, welche Inhalte viral gehen – und das kann für Unternehmen unvorhersehbare Konsequenzen haben. Ein unglücklich platzierter Kommentar oder ein falsches Video kann zu einem Shitstorm führen, der sich innerhalb von Stunden millionenfach verbreitet.

Unsichere Datenlage & Datenschutzrisiken

TikTok sammelt enorme Mengen an Nutzerdaten, darunter Verhaltensmuster, Standortdaten und sogar biometrische Daten. Unternehmen, die TikTok nutzen, sollten sich bewusst sein, dass diese Daten möglicherweise nicht nur für Werbezwecke, sondern auch für andere Interessen genutzt werden könnten.

Die Abhängigkeit von einem unkontrollierbaren Algorithmus

Wer auf TikTok Marketing betreibt, ist dem Algorithmus komplett ausgeliefert. Inhalte, die gestern funktioniert haben, können morgen wirkungslos sein – und Unternehmen haben keine Möglichkeit, dies vorherzusehen oder zu beeinflussen.

Fazit – TikTok als Chance oder Risiko?

TikTok ist eine Plattform mit enormem Potenzial, aber auch massiven Risiken.

  • Für Unternehmen bietet TikTok eine grosse Reichweite, erfordert aber strategisches Vorgehen und ein Bewusstsein für Reputationsrisiken.
  • Für Nutzer bedeutet die Plattform Unterhaltung und Trends, birgt aber gleichzeitig Suchtgefahr, Manipulation und eine starke Steuerung durch Algorithmen.
  • Gesellschaftlich zeigt sich ein gefährlicher Unterschied zwischen dem Bildungsansatz in China und dem Unterhaltungsfokus in westlichen Ländern – ein Aspekt, über den dringend mehr diskutiert werden sollte.

Das Fazit? TikTok ist mehr als nur eine App – es ist ein Werkzeug zur Steuerung von Aufmerksamkeit. Wer es nutzt, sollte sich der Mechanismen bewusst sein und nicht alles unkritisch konsumieren.

Remo Nyffenegger
Inhaber Aletheia Marketing und Co-Founder
«die Marketingexperten»
Referent im Lehrgang Technische Kaufleute an der BFB

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